Ralf Werner
ohne Titel, 2002
Raumskulptur im Kreuzgratgewölbe des Kreisgutes Aichach
Holz, Hartfaserplatte, Putz
Die künstlerische Reflexion und Verwandlung vorhandener Räume und Architekturen ist ein Thema, mit dem sich Ralf Werner seit 1998 auseinandersetzt. In dieser Zeit hat er etwa ein Dutzend Rauminterventionen geschaffen, die durch gezielte Verfremdung die ursprüngliche Architektur auf faszinierende Weise sichtbar und reflektierbar machen. Dabei bedient sich der Künstler einer im Grunde einfachen Methode: Er fertigt von vorhandenen Architekturelementen detailgetreue Kopien im Originalmaßstab an, die er durch Verschiebung, Spiegelung oder Drehung an ihre Urbilder andockt.
Ein Beispiel für diese Arbeitsweise und ihre Wirkungen ist eine Raumintervention im Stall des Kreisgutes in Aichach, einem ehemaligen landwirtschaftlichen Musterbetrieb aus dem 19. Jahrhundert. Dessen Kuhstall ist als dreischiffige Gewölbehalle mit sieben Joch Länge erbaut, die an eine niedrige Hallenkirche denken lässt. Ganz am Ende dieses imposanten Raumes setzt Ralf Werners architektonische Intervention an, indem er einen Nachbau des dreischiffigen Gewölbes in die Vertikale legt. Er verwandelt also die Deckenform durch eine 90 Grad-Drehung in die abschließende Rückwand der Halle. Das in die horizontale Blicklinie des Betrachters gekippte Kreuzgewölbe gibt dadurch seine erstaunliche Wölbung zu erkennen, die schwindelerregend tief und sinnlich zugleich wirkt. Durch diese neue Seherfahrung verändert sich die Wahrnehmung des gesamten Raumes nachhaltig, denn erst jetzt nimmt der Betrachter die enorme Tiefe der einzelnen Gewölbezellen wahr und bemerkt, dass die gesamte Decke an eine riesige Wasserfläche aus stehenden Wogen erinnert. Das zuvor eher beiläufig wahrgenommene Kreuzgewölbe gewinnt durch den Eingriff also eine bisher unbekannte und unmittelbare plastische Präsenz. Diese Sensibilisierung des Betrachters für die sinnlichen und plastischen Qualitäten von an sich unspektakulären Architekturelementen und Raumformen ist eine der zentralen Wirkungen von Ralf Werners Kunst. (...)
aus: René Hirner, „Von der Raumintervention zur Architekturskulptur. Ralf Werners Pagode“, Katalog zum Bildhauersymposion Heidenheim Werk 07